Desire Lines
Bianca Pedrina
Kluckyland
18.11.–09.12.2022
DE
Bianca Pedrina flaniert durch Städte wie Brno, Basel, Glasgow, Pisa oder Wien, lässt dabei ihren Blick schweifen und macht dort halt, wo niemand sonst hinschauen würde. Hinter der Oberfläche der Fassaden sieht sie Merkwürdigkeiten, die nicht ins perfekte Bild passen: ein Wandlicht auf einer Antikenreplika, zugemauerte und neugebaute Fensteröffnungen, Klebereste auf historischen Marmorfassaden, einen Handabdruck auf einer Sandsteinsäule – alles absurde oder unstimmige bauliche Details, setzt man die Massstäbe von "korrekter" architektonischer Ausführung. In Pedrinas künstlerischer Praxis stellen diese Momente Versatzstücke einer parallelen Realität dar, die sich abseits bürokratischer Planungslogiken irgendwo im Freiraum zwischen wilder Aneignung und Fehlverhalten entwickelt. Ihre dokumentarischen Fotografien reflektieren diese Beobachtungen losgelöst von ihrem Kontext als pars pro toto eines ganzen Systems. Sie verweisen subtil auf Unzulänglichkeiten in der Architektur und werfen dabei viele Fragen auf, nicht nur solche, die direkt die Effizienz von Bauprozessen betreffen, sondern auch Fragen in Bezug auf ökonomische, ökologische und soziale Bedingungen des urbanen Raums. Was bedeutet es, wenn die instrumentelle Vernunft nicht mehr greift und quasi autonome Handlungen freigesetzt werden und Spuren im Stadtbild hinterlassen?
Desire Lines oder Desire Paths nennen sich eigenermächtigte Wege oder Trampelpfade im öffentlichen Raum, die Abkürzungen oder "Materialisierungen von Bedürfnissen" (Pedrina) ganz unterschiedlicher Menschen (oder Tiere) ausdrücken. Und so sind auch die aufgedeckten "Regelwidrigkeiten" verschiedenen Motivationen geschuldet: sei es Unvermögen oder dem Bedürfnis, selbstdefiniert in einen Bauablauf einzugreifen oder einfach einer fehlerhaften Ausführung. Das Resultat jedoch markiert immer eine Schwachstelle, etwas, das so nicht vorgesehen war und das Stadtbild unauffällig und dezent aus den Angeln hebt.
Die mehrteilige fotografische Rauminstallation bei Kluckyland ist eine Umsetzung dieser Beobachtungen und Fragestellungen in einer kompakten Ausstellung: ausgehend von einem vernachlässigten Detail an der Wand, einem vorspringenden Mauerstück, entwickelt sich ein Diskurs über Nutzung und Planung von Architektur, über die Poesie von "fehlerhaften" Momenten und über die anarchische Qualität von Aneignungen des öffentlichen Raums.
Text: Patricia Grzonka
EN
Bianca Pedrina strolls through cities like Brno, Basel, Glasgow, Pisa or Vienna, letting her gaze wander and stopping where no one else would look. Behind the surface of the façades, she sees oddities that do not fit into the perfect picture: a wall light on an antique replica, window openings that have been bricked up and rebuilt, glue residue on historic marble façades, a handprint on a sandstone column - all absurd or incongruous structural details, if one sets standards for "correct" architectural execution. In Pedrina's artistic practice, these moments represent set pieces of a parallel reality that develops away from the logic of bureaucratic planning somewhere in the open space between wild appropriation and misconduct. Her documentary photographs reflect these observations detached from their context as pars pro toto of an entire system. They subtly point to inadequacies in architecture and in doing so raise many questions, not only those that directly concern the efficiency of building processes, but also questions related to economic, ecological and social conditions of urban space. What does it mean when instrumental reason no longer takes hold and quasi-autonomous actions are left free to leave traces in the cityscape?
Desire Lines or Desire Paths are self-authorised paths in public space that express shortcuts or "materialisations of needs" (Pedrina) of very different people (or animals). Thus, the "irregularities" that are uncovered are also due to various motivations: be it inability or the need to intervene in a construction process in a self-defined way or simply a faulty execution. The result, however, always marks a weak point, something that was not intended and which discreetly upsets the cityscape.
The multi-part photographic spatial installation at Kluckyland is a realisation of these observations and questions in a compact exhibition: starting from a neglected detail, a protruding piece of wall, a discourse develops on the use and planning of architecture, on the poetry of "faulty" moments and on the anarchic quality of appropriations of public space.
Text: Patricia Grzonka